
Reise nach Germania
Studentenverbindungen haben mich schon lange fasziniert. In der Gesellschaft genießen sie jedoch nicht den besten Ruf. Strenge Hierarchien, exzessiver Trinkzwang, reaktionäre Werte. Das und mehr wird den traditionsreichen Korporationen nachgesagt. Doch was wirklich in den Kellerkneipen und Villen geschieht, in denen sich Burschen herumtreiben, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Ich wollte mehr über diese Szene zwischen Tradition und Reaktion erfahren und bin kurzerhand selbst in eine studentische Verbindung eingetreten. Zehn Monate lang war ich Anwärter unter Verbindungsstudenten unterwegs und habe das korporierte Leben kennengelernt. Anhand meiner eigenen Erlebnisse und Expertenmeinungen dokumentiere ich kritisch verschiedene Aspekte von Studentenverbindung. Das Ergebnis ist ein intimes Portrait einer konservativen Parallelgesellschaft, von volltrunkenen Burschen, autoritären Strukturen und Bierstrafen.

Die erste Hürde ist dabei die Wahl der richtigen Verbindung. Nur Männer bitte, am besten noch katholisch oder deutsch. Ich bewerbe mich auch bei einigen Bünden im offen rechten Dachverband der Deutschen Burschenschaft (DB), denen der “Ariernachweis” nachgesagt wird. Mitglied könne demnach nur werden, wer “dem deutschen Volkstum” zugehörig sei. Biodeutsche also, die Staatsbürgerschaft alleine reiche nicht aus. Was die Burschenschafter, bei denen ich mich bewerbe nicht wissen: Ich bin schwarz.
Beim ersten Bund bin ich zum Grillabend geladen. Nachdem die Burschen anfangs ein wenig verdutzt schauen, ist die Stimmung gelassen. Ich bekomme ein Bier und eine Hausführung. Die Gedenktafel für die im Krieg gefallenen Bundesbrüder ist Geschmackssache, sicher. “Sie starben für Deutschland”, prangt dort. An Kolonialromantik unübertroffen ist aber das“Afrika-Zimmer”, mit Karten und Dekor der deutschen Kolonien. Über Politik geht es aber heute nicht. Insgesamt verstehe ich mich mit den Aktiven gut. Besser als erwartet. Trotzdem kommt nach ein paar Tagen die Absage. Ich würde hier nicht reinpassen, bei einem anderen Dachverband hätte ich bessere Chancen.
“Wir würden jetzt auch keine Asiaten aufnehmen.”
Die zweite Burschenschaft ist ein wenig direkter: Ich habe kaum an meinem Bier genippt, da wird mir gesagt: “Auch wenn das jetzt sehr direkt klingt: Sie können bei uns leider kein Mitglied werden.” In dem Bund gelte das Abstammungsprinzip, nachdem nur “Deutsche” aufgenommen werden können. Das sei zwar keine direkte Vorgabe des Dachverbandes, werde hier aber etwas strenger ausgelebt. Meine deutsche Staatsbürgerschaft ändert daran auch nichts. Es sei nichts persönliches: “Wir würden jetzt auch keine Asiaten aufnehmen.” Die Stimmung im Raum ist unangenehm. Mir wird angeboten, nach einem anderen Bund zu suchen. Ich lehne ab. Nach 20 Minuten ist das Gespräch vorbei.
Während meiner eigenen Aktivenzeit in einer Studentenverbindungen gab es Burschenschaften, die selbst für korporierte Verhältnisse als weit rechts der Mitte gelten. Der dritte Bund, den ich besuche, ist so eine Verbindung am rechten Rand. Ich bin zum Stammtisch geladen. Im schummrigen Licht der Kellerbar haben sich einige Burschen versammelt und warten auf mich. Die Kulisse wirkt direkt ausladend: Neben einer großen Reichskriegsflagge schmückt ein Gedicht der antisemitischen Vordenkerin Mathilde Ludendorff den Raum. An den Wänden hängen Propaganda-Schildern mit Aufschriften wie “Deutsche Ostgebiete erweitern!” und “Zum Heimatschutz! Freiwillige vor!” Ja, Freiwillige vor, nur keine Schwarzen. Wieder wird mir direkt gesagt, dass eine ausländische Abstammung mit einer Mitgliedschaft in dieser Burschenschaft unvereinbar sei. “Du kannst bei uns selbstverständlich nicht Mitglied werden und das ist auch gut so.”, erklärt ein Bursch. Wieder mit Verweis auf das Abstammungsprinzip. Ich beschließe, trotzdem zu bleiben. Zumindest heute Abend bin ich hier Gast. Wir reden auch über Politik. Woher ich denn komme, werde ich gefragt. Aus der Dom Rep. “Naja, immerhin besser als Afrika.” Ein Bursch erzählt vom kulturellen Marxismus und dem Bundeslager der Identitären, an dem er teilgenommen hat. Auch Martin Sellner habe er dort getroffen. Die AfD sei natürlich die einzig wählbare Partei, mit dem III. Weg wird aber auch geliebäugelt. Alles nur Scherze, bestimmt. Einer der Burschen fällt mir besonders auf. Er ist erst misstrauisch, fordert mich mehrmals zum Trinkduell heraus. Er erzählt von seiner Politisierung bei PEGIDA und von der AfD. Ich sei ein gutes Beispiel für Integration, für Assimilation. Ein guter Schwarzer. Später hebt er die rechte Hand zum Hitlergruß. Nur zum Spaß, natürlich.
“Die gemäßigten Burschenschaften sind vor einigen Jahren ausgetreten.”
Widerstand innerhalb der Deutschen Burschenschaft hatte ich nicht erwartet. Umso erfreulicher ist der Besuch bei der vierten Burschenschaft: “Das Politische ist bei uns natürlich wichtig. Wir distanzieren uns aber von linksextremen und rechtsextremen Meinungen - gut, Linksextreme wird man hier eh nicht finden”, scherzt ein Alter Herr. In der Vergangenheit kam es deswegen wohl auch zu Austritten von Bundesbrüdern, die mit diesem Grundkonsens nicht einverstanden waren. “Innerhalb der Deutschen Burschenschaft sind die liberal-konservativen Bünde in der Unterzahl, oder gar nicht vorhanden. Die gemäßigten Burschenschaften sind vor einigen Jahren ausgetreten.” Mit den offen rechtsextremen Bünden wolle man nichts zu tun haben. Das beruht aber auf Gegenseitigkeit - weil sie nicht nur “biodeutsche” Mitglieder aufnehmen. Das ein Bund innerhalb des Dachverbandes mit der Deutschtümelei und dem Rassismus bricht, hat mich positiv überrascht. Als einziger der Bünde würden sie mich aufnehmen.
Auf Anfrage wird mir vom Dachverband erklärt: “Die Deutsche Burschenschaft mischt sich grundsätzlich nicht in die Entscheidungen der Einzelbünde ein. Wie erwähnt ist die Auslegung der Satzung Aufgabe der Einzelbünde.” Demnach sei “die Abstammung hierbei nicht das Alleinmerkmal zur Beurteilung”. Von rassistischen Aufnahmekriterien wisse man nichts: “Da wir uns nicht am Prozess der Mitgliederwerbung der Einzelbünde beteiligen, können wir nicht beurteilen, ob die Hautfarbe oder Ethnie der Grund für einen Abbruch des Bewerbungsverfahrens sind.” Man sei ja nur ein übergeordnetes Germium, das sich nicht in die Mitgliedsgewinnung einmische. Achso.

Ich entscheide mich für eine katholische Studentenverbindung, wobei das mit dem Glaube mit zwei Pflichtgottesdiensten im Semester eher klein geschrieben wird. Im Vorfeld wird mir versichert, das hier nicht so viel gesoffen werde wie bei anderen Bünden. Wir stehen dicht gedrängt auf dem Balkon eines alten Kaufmannshauses. Am heutigen Abend werde ich zusammen mit zwei anderen Jungs in der Verbindung offiziell aufgenommen. Unsere einjährige Probezeit als „Fux“ beginnt. Doch vorher muss ich mein in ein Bierglas getauchtes Fuxenband austrinken. Die Schärpen tragen die Farben der Verbindung. Von unten rufen die Burschen uns zu: „Trink zwei!“. Natürlich trinke ich zwei. Der Deal: Günstiger Wohnraum für Studenten, finanziert von den Alten Herren, wie sich die Ehemaligen nennen. Dafür verpflichtet man sich, auf Lebenszeit Teil der Verbindung zu bleiben. Während des Studiums in der Aktivitas als Bursch, später dann gegen einen jährlichen Betrag in der Altherrenschaft. Durch diese Seilschaften erhoffen sich die Jungen bessere Chancen auf Praktika und Anstellungen.
Wie die absurden Mengen Alkohol in meinen Magen passen? Kotzen, natürlich.
Irgendwann im Herbst klingelt es nachmittags an der Tür. Vor mir stehen sechs Gestalten im typischen Burschenlook. Wachsjacken, Chinos, Segelschuhe. Beim sogenannten „Bummeln“ geht man von Verbindung zu Verbindung und trinkt eine ganze Menge Bier. Heute soll ich das auf die harte Tour lernen. Der erste Kasten ist schnell geleert. Wir werfen uns unsere eigenen Wachsjacken über und ziehen gemeinsam durch die Nacht. An meinem ersten Bummelabend werde ich ständig zum Trinken herausgefordert. Wenn ein Bursch die magischen Worte „Bierjunge“ ruft, antwortet man „hängt“. Daraufhin ext man ein Bier gegeneinander. Warum? So sind die Regeln. Generell wird viel geext. „Presssaufen“ nennt sich das. Wie die absurden Mengen Alkohol in meinen Magen passen? Kotzen, natürlich. In der Anfangszeit noch eher unfreiwillig, später kalkuliert. So passt mehr Bier in den Bauch und man wird nicht so schnell besoffen. Viele Verbindungshäuser haben dafür extra ein Speibecken mit Haltegriffen auf der Toilette, auch Pabst genannt. Für mich endet der Abend mit einem mehrtägigen Kater. Die Vorlesung am nächsten Morgen muss ausfallen. Jetzt kann man sich natürlich fragen, warum ich mir das antue. Einen aktiven Saufzwang gibt es tatsächlich nicht. Auch die Verbindungen sagen, dass niemand zum Trinken genötigt werde. In der Realität sieht das aber anders aus: Saufen erhöht das Ansehen in der Gruppe und vor anderen Bünden. Trinkt man wenig oder gar nicht, muss man sich dumme Sprüche gefallen lassen. Der Ruf der eigenen Verbindung leidet. Die Burschen möchten das natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Es entsteht ein Klima, in dem exzessiver Alkoholkonsum und Obrigkeitshörigkeit belohnt und individuelles Handeln bestraft wird. Auch der Politologe Dr. Stephan Peters sieht hinter den Trinkspielen mehr als einen enthemmenden Aspekt: „Wenn ich einen Bierjungen trinke, dann muss ich mich selbst verteidigen. (...) Ich werde von meinem Bund herausgestellt, um gegen den anderen zu trinken. Verliere ich, bin ich eine Pfeife. Von daher gibt es Bünde, die das Biertrinken mit Wasser üben, um den Magen zu dehnen und auch mal einen vierfachen Bierjungen hinzukriegen“. Dr. Peters war selbst mehrere Jahre in einer katholischen Verbindung aktiv und promovierte mit einer Arbeit über Studentenverbindungen. Bei den Trinkspielen gehe es darum, sich für die Gemeinschaft den Regeln unterzuordnen: „Die Regeln müssen akzeptiert werden, sonst funktioniert das Ganze ja auch gar nicht. Ich muss bereit sein, mit meinem Körper über die eigenen Grenzen zu gehen“.

Nach meiner Aufnahme als Fux ist das Couleursemester in vollem Gange. Mehrmals in der Woche finden Pflichtveranstaltungen statt. Kneipenabende, Vorträge, Convente. Ich möchte dazugehören, mich beweisen. Das funktioniere nur, so wird es uns Füxen vermittelt, wenn wir uns aktiv einbringen. „An erster Stelle steht das Studium, an zweiter Stelle die Verbindung, alles andere kommt danach“, erzählt mir mein Fuxmajor. Wie auch beim Alkohol geht es um das Einhalten der Sitten und Regeln. In der Anfangsphase stecke ich viel Zeit ins Verbindungsleben, besuche jede Veranstaltung und gehe oft mit den Bundesbrüdern bummeln. Auch das Bierexen übe ich fleißig. Hobbies, Freunde, Beziehungen? Nebensächlich. Es ist auch nicht weiter schlimm, dass ich bei Trinkabenden gelegentlich nicht bei meinem Namen, sondern als „Fux“ angesprochen werde. „Fux, Feuer!“, “Fux, hol einen Kasten!“, „Fux, zeig ein bisschen Respekt vor einem Alten Herrn!“. So wird man immer wieder auf seinen Rang in der Verbindunghierarchie hingewiesen. Fügt man sich den Sitten nicht, sinkt das Ansehen bei den Bundesbrüdern. Wer oft bei Veranstaltungen fehlt oder seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, muss sich vor dem Convent, der Mitgliederversammlung, verantworten. Durch die strikte Hierarchie und den Korpsgeist wird indirekt Druck auf die einzelnen Mitglieder ausgeübt.
Die antisemitischen Inhalte bleiben folgenlos
Es ist nicht verwunderlich, dass diese autoritären Strukturen mit Konservativismus gut einhergehen. Nach außen hin zeigen sich die katholischen Verbindungen unpolitisch und überparteilich. Zur Hochschulwahl liegen trotzdem die Flyer der CDU-nahen Hochschulgruppe aus. Das “Vaterlandsprinzip” der katholischen Studentenverbindungen äußert sich mal in sarkastischer Monarchieromantik, mal in überschwänglichem Nationalstolz. Da ist etwa der volltrunkene Bursch, der mit erhobenem Haupt und umgebundener Deutschlandfahne stolz zu Flers Neue Deutsche Welle salutiert. Ein Gemälde von Kaiser Wilhelm II. findet sich auf vielen Verbindungshäusern wieder. Zwei Burschen scherzen vor mir, sie würden demnächst Urlaub in Deutsch-Südwestafrika machen. Zu einer offen rechten Burschenschaft erzählt mir ein älterer Bursch: „Die sind privat super nett. Man darf mit denen nur nicht über Politik reden.“ Auch in meinem Bund wird rechtsextremer Bummelbesuch empfangen und bewirtet. Das ist zum Glück nicht überall so, in einigen Städten gibt es ein striktes Besuchsverbot von extrem rechten Verbindungen. Problematisches Gedankengut gibt es aber nicht nur bei der Deutschen Burschenschaft. Mit den Worten „Scheiß Ramadan “ flucht ein Korporierter vor mir über Muslime, wenige Momente später übergibt er sich in den Nachbargarten. Ein Fux verwendet mehrmals das N-Wort und fordert mich wieder und wieder zum Trinken heraus. Nachdem einige Burschen antisemitische Karikaturen und SS-Runen in eine Chat-Gruppe schicken, stelle ich einen der Männer zur Rede. Dieser spielt die Nachrichten herunter. Mir wird davon abgeraten, das Thema offen anzusprechen. Die anderen Burschen würden sich nur über mich lustig machen. Die antisemitischen Inhalte bleiben folgenlos.

Trotz der Probleme wäre es gelogen, wenn ich behaupten würde, die Fuxenzeit hätte mir keinen Spaß gemacht. Auch das „Presssaufen“ kann unter Umständen lustig sein, wenn man sich denn darauf einlässt. Ein Bundesbruder meinte einmal zu mir: „Verbindungen sind wie Freundschaft auf Kommando“. Laut Dr. Stephan Peters ist das eine Marktlücke der Verbindungen: „Man sagt da ‚Wir bieten euch ein Netzwerk an, ein Zimmer und vielleicht auch ein paar Freunde dazu. Ihr müsst gar nichts mehr tun.‘ Das ist schon sehr verlockend.“ Doch in meinen zehn Monaten als Fux zeigt sich, dass die autoritären Strukturen dahinter ein Klima schaffen, in dem angestaubte Werte gefördert und von Generation zu Generation weitergegeben werden. Der Einfluss der Altherrenschaft macht es kaum möglich, diesen Konsens zu brechen. „Es sind nunmal die Alten Herren, die ihre Macht ausüben. Natürlich mit dem Ziel, dass die jungen Burschen mit den verschiedenen Ritualen so geformt werden, dass sie später als Alte Herren genau das gleiche tun. Man möchte mit den Brauchtümern innerhalb der Korporation das Konservative, das Autoritäre zementieren“, so der Politologe.
An einem Sommerabend stehen wir vor einem Verbindungshaus, vor uns dreißig Liter Bier, die geleert werden müssen. So richtig Lust auf Alkohol hat heute niemand. Wer sich weigert, wird von einem Burschen zurechtgewiesen: “Du trinkst das jetzt! Das war keine Frage!”. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich den Gedanken habe. Vielleicht schon bei der ersten Runde, oder als wir in einer Reihe stehen, um besagtes Bier ins Gebüsch zu kotzen. Aber an diesem Abend beschließe ich, aus meiner Studentenverbindung auszutreten.
Diese Reportage erschien ursprünglich als mehrteilige Reihe “Reise nach Germania” über Twitter, Instagram und Reddit und wurde seitdem von verschiedenen Medien aufgegriffen, u.a. SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung, WDR Cosmo, SWR DASDING, Volksverpetzer, Neue Osnabrücker Zeitung, web.de, Supernova. Titelbild: Allan Bailey